Er befand sich in einem Stadium zwischen Bewusstsein und Ohnmacht, im Nebel gefangen, dem er zeitweise fast zu entkommen schien, ehe er wieder vollends hineindriftete, Erstarrt in einem Dämmerzustand; wie lange er sich bereits darin befand, konnte er bei aller Liebe nicht sagen. Vielleicht waren es gar Tage und Wochen oder nur Minuten und Stunden; er fühlte sich zeitlos. Abgesehen von Stimmen, die manchmal aus weiter Ferne zu hallen schienen, unterbrach nichts die andauernde Stille, welche sich leicht auf Ohren und Lider niederließ. Er nahm sich als körperlose Hülle war, die auf Watte zu schweben schien. Eine angenehme Leere erfüllt ihn, ließ ihn vergessen, dass er vor kurzem in eben solch einer Scheinwelt gefangen gehalten worden war, doch nach einiger Zeit begann er, unruhig zu werden und er versuchte, aus den Dunstschwaden in seine Welt zu entkommen. An dem Punkt geschah es nun, dass er sich seinem Körper plötzlich wieder gewahr wurde und ein schimmernder Funken vor ihm erschien, um den Weg zu weisen.

 

Ohne sich viele Gedanken zu machen, stand er auf und folgte leichten Schrittes dem tanzenden Licht durch die wabernden Schwanden, welche mit jedem weiteren Meter stärker von ihm fort zu weichen schienen. Der Nebel lichtete sich zusehends und ehe er es sich versah, flog der Funke direkt auf ihn zu, sodass er die Hände vor Augen halten musste. Immer stärker blinzelte er, die zarte Bindehaut war das grelle Licht nach den Tagen in der Höhle und nach denen der Umnachtung nicht mehr gewöhnt. Deshalb brauchte er einen Moment, um zu bemerken, dass es nicht der weisende Funke war, der ihn heftig die Augen zusammenkneifen ließ, sondern das Tageslicht. Zudem spürte er, dass sein Körper auf einer weichen Matratze nieder gebettet und eine Leinendecke über ihm drapiert worden war. Durch das Blinzeln wurde ihm bewusst, dass er sich wohl auf einer Art Krankenzimmer befinden musste – allerdings war hier alles viel bunter, als er es von den schlichten, sterilen Krankenhäusern gewohnt war. Und nachdem Nikolaus wieder schmerzlos geradeaus schauen konnte und er sah, wer an seinem Krankenbett saß, wurde ihm schlagartig auch klar, weshalb die Wände und Möbel in Rot-, Grün- und Gelbtönen gehalten wurde – sein Besucher war der Weihnachtsmann – und dementsprechend musste er sich wohl in der Weihnachtsstadt befinden! Auf einmal war er putzmunter und bereit, sich notfalls auf den Weihnachtsmann zu stürzen, um von diesem grässlichen Ort zu verschwinden.

Er hatte wohl einen Mucks von sich gegeben, jedenfalls sah der Weihnachtsmann von dem Stück Pergament auf, welches er zuvor gelesen hatte. „Gut, du bist wach. Wir dachten schon, du wärst verloren. Glücklicherweise hat Tavie einiges an Vorarbeit geleistet – ohne sie wärst du mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben.“, sagte der alte Mann aufgeräumt, doch er knetete seine Hände dabei. „Sei unbesorgt, du wirst keine bleibenden Schäden davontragen, abgesehen von ein paar Narben hier und da – bei solch einem Kristall jedoch auch kein Wunder.“ Tavies Name ließ ihn einen Moment innehalten. Nanuq. Ihr verdankte er sein Leben – schon wieder, wie all die Jahre zuvor. Und dieser eine Moment in der Höhle, der kurze Blickkontakt – sein Herz wurde wärmer. Doch auf der anderen Seite war er hier, exakt an dem Ort, welchen er unter keinen Umständen betreten wollte... Und sie wusste das, wusste es und hat ihn trotzdem jahrelang getäuscht und hergebracht. Er war hin- und hergerissen, sodass er den Gedanken an sie erst einmal verdrängte. Und obwohl er sich an den Großteil der Geschehnisse nicht erinnern konnte, tauchte das Bild des Grinchs aus den Untiefen seines Geistes auf.

Schon vor langer Zeit hatte sich tiefes Misstrauen in seinem Wesen eingebettet, sodass er auch dem Weihnachtsmann nur Skepsis gegenüber empfand, da er allerdings keine Fluchtmöglichkeiten sah, behielt er es sich vor, erst einmal Fragen zu stellen. Das dringlichste zuerst: „Was ist mit dem Grinch passiert?“ „Nachdem du alle außer Gefecht gesetzt hast, legten die drei Schneetänzer, welche kurz nach mir erschienen, die stärksten Zauberbänne, welche sie zu bieten hatten, über den bedauernswerten, aber nicht minder schuldigen Wicht. Seitdem wir hier sind...“, dabei machte er eine große Armbewegung, „… sitzt er unten im Gefängnis. Wie wir weiter mit ihm vorgehen, ist noch ungewiss, doch im Moment stellt er keine Gefahr dar.“ Mit einem leichten Kopfneigen ermunterte der Weihnachtsmann den stummen Nikolaus dazu, weitere Fragen zu stellen. Und diese kamen. „Was wollte der Grinch von mir?“ „Nun, was alle anderen seiner Art zuvor auch schon wollten – Weihnachten zerstören… Mittels deiner Magie.“ Der letzte Part kam nur zögernd. Aus Angst, er könne das sogar gutgeheißen haben? Nikolaus konnte sich die Frage nicht einmal selbst beantworten.

„Wer waren die anderen und was hatten sie dort zu suchen?“ „Tavie kanntest du bereits zuvor – und mit ihr kamen die drei anderen Schneetänzer, welche Hilfe von einem Bär erhielten. Weiterhin anwesend war die Annea, welche...die Hüterin der magischen Quelle ist. Und dann war noch mein Bruder dort… er kam zusammen mit mir.“ Obwohl der Roter-Mantelträger nicht erzählte, weshalb sie alle in eben jener Höhle gewesen sind und was er damit zu tun hatte, beließ er es vorerst dabei und stellte viele andere Fragen, bei welchen der Weihnachtsmann versuchte, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Doch die Aufgabe, Nikolaus zu erklären, wer seine leiblichen Eltern sind, würde er seinem Bruder und der Annea überlassen, welche am morgigen Tage hoffentlich wieder bei Bewusstsein sein würden.

Und es kam nach einiger Zeit, wie sollte es anders sein, die Frage, welche Nikolaus seit dem ersten Tag, seit er begonnen hatte, die Wahrheit herauszufinden, auf dem Herzen brannte. „Was willst du von mir?“, brachte er durch zusammengebissene Zähne hervor. Minutenlang saß der Weihnachtsmann stillschweigend auf dem Stuhl und starrte auf seine Hände. Eine einfache Frage, die eine schwierige Antwort verlangte. Nikolaus fixierte den alten Mann, welcher unter dem Blick zusammen zu schrumpfen schien. Er seufzte einmal laut. „Das ist leider eben jene Frage, die ich dir nicht beantworten kann. Noch nicht. Doch es wird die Zeit kommen, glaube mir.“ Nikolaus wollte soeben lautstark protestieren, doch der Weihnachtsmann fuhr nachdrücklich fort: „Doch für das Erste sollte es dir genügen, zu wissen, dass du zum Anführer der Schneetänzer erkoren wurdest… Und zu meinem Nachfolger.“ Stille. Dann ein wütend aufschreiender Nikolaus, welcher sich weigerte, nach all Geschehen jemals wieder einen Fuß in diese Stadt zu setzten. Ehe er mit den Beschimpfungen anfangen konnte und sich in seine Abwehrreaktion hineinsteigerte, setzte der jetzige Anführer der Elfengemeinschaft hinzu: „Bedenke bei all dem bitte, dass wir dir beibringen können, wie du mit deiner Magie umzugehen hast. Denke darüber in aller Ruhe nach, es war ein ereignisreicher Monat. Sollte deine Antwort negativ ausfallen, setzte ich dich bei meiner Bescherungstour am Ort deiner Wahl ab…. Doch bis dahin. Schlaf eine Nacht darüber, morgen komme ich wieder.“ Und ohne eine Reaktion abzuwarten, stand der Weihnachtsmann auf und verließ das Zimmer.